Der WM-Sieg der US-Frauen im Jahr 1999 löste unter Kindern einen wahren Fußballboom aus. Heute spielen in den USA Millionen Mädchen Fußball – doch in den Medien ist der Sport wieder in der Versenkung verschwunden.
Was sie am Fußball fasziniert? „Es ist eine der wenigen Sportarten, in denen es keine Sonderregeln für Mädchen gibt“, sagt Rebecca. American Football wird als zu brutal für Mädchen erachtet und ist entsprechend tabu. Sie müssen Softball statt Baseball spielen – mit größeren Bällen auf kleineren Feldern. Und auch die Regeln beim Frauen-Eishockey verbieten ihnen einen ähnlich starken Körpereinsatz, wie er bei den Männern üblich ist. Doch Fußball ist Fußball– egal ob Mädchen oder Jungen spielen. Und kaum einer in den USA würde in Abrede stellen, dass Mädchen am Ball genau so gut sein können wie Jungen.
Der Boom des amerikanischen Mädchenfußballs ist auch der Politik zu verdanken: 1972 – im Jahr, als Mia Hamm geboren wurde - trat der sogenannte „Titel IX“ in Kraft, der unter anderem die Diskriminierung von Mädchen und jungen Frauen im Sportunterricht an Schulen und Colleges beenden sollte. Die waren traditionell eher am Aufbau von prestigeträchtigen Footballmannschaften interessiert. Mit dem „Titel IX“ waren alle Bildungseinrichtungen, die öffentliche Gelder erhielten, verpflichtet, Jungen und Mädchen gleiche Bedingungen zu bieten – im Unterricht, aber auch im Sport. Eine Maßnahme, die Wirkung zeigte.
Mittlerweile spielen allein an den High Schools über 337 000 Mädchen Fußball, über 10 500 Schulen haben Mädchenmannschaften. An den Colleges und Universitäten gibt es rund 700 Frauenteams. Daneben spielen geschätzte 1,5 Millionen Mädchen in Vereinen. Ihre Mütter – die soccer-moms – sind in den USA bereits zum Klischee geworden: Sie fahren den Nachwuchs in Minivans von Platz zu Platz und feuern ihn vom Spielfeldrand an.
Besonders in der amerikanischen Mittelschicht ist Fußball eine beliebte Sportart für den Nachwuchs und besitzt so gar nicht das proletarische Image, das ihm zuweilen in Europa anhaftet. Vielleicht sind in den USA im Fußball auch deshalb die Geschlechterstereotype weniger ausgeprägt als in traditionellen Fußballkulturen. In Europa und Südamerika erwuchs das Spiel aus der Arbeiterschicht und dem Straßenkick und ist eng mit klassischen Rollenklischees verknüpft. Mädchen hatten dort lange Zeit weder beim Spiel noch als Zuschauer etwas zu suchen. In den USA wurde das Spiel hingegen quasi von der Mittelschicht importiert. Und die unterstützte von Anfang an die Fußballbegeisterung der Mädchen.
In Deutschland kam der Schock
Benachteilungen als Mädchen auf dem Fußballplatz hat die elfjährige Kira Lee-Genzel aus Washington D.C. eigentlich nur in Deutschland erlebt. In jenen Sommern, die sie mit ihrer Familie im Heimatland ihrer Mutter verbrachte und dort Fußballcamps besuchte. Das erste Erlebnis war ein kleiner Schock: Kira, die seit ihre vierten Lebensjahr Fußball spielt und als großes Talent gilt, wurde vom deutschen Trainer zu den viel jüngeren Jungen gesteckt. Er traute ihr nicht zu, mit den gleichaltrigen Jungen mithalten zu können. Doch es galt nicht nur den Trainer zu überzeugen: „In Deutschland ist es schwieriger, mit Jungs zusammen zu spielen“, sagt Kira. „Die akzeptieren nicht, dass Mädchen auch gut spielen können.“ Das änderte sich allerdings mit der Zeit: „Als ich dann Tore geschossen haben, haben sie gesehen, dass ich gut bin“, erinnert sie sich.
Auch Barbie spielt Fußball
Dass in der Nationalmannschaft von 1999 Frauen wie Mia Hamm spielten, denen von den Medien Model-Qualitäten bescheinigt wurden, sorgte noch für etwas anderes: Fußball galt in den USA nie als unweiblich, als Sport für „Mannsweiber“ oder lesbischen Frauen. Diese Stigmatisierung ist auch Rebecca Ebling völlig fremd: „Fußball gilt als athletischer, aber nicht als männlicher Sport.“ In ihren Mannschaften, so sagt, waren alle Typen von Mädchen vertreten, von der Schönheitskönigin bis zum burschikosen Typ.
Auch die erfolgreiche „Soccer Barbie“ im eng geschnittenen lila Trikot und langen goldenen Haaren vermittelt, dass Fußball und Weiblichkeit sich nicht ausschließen – ein nicht unwesentlicher Punkt in den mehr als Deutschland auf weibliche Geschlechterstereotypen fixierten USA.
Natürlich heißt das nicht, dass es im amerikanischen Frauenfußball keine lesbischen Frauen gibt: Die Schwedin Pia Sundhage, Trainerin der US-Nationalmannschaft, machte beispielsweise 2010 ihre Homosexualität öffentlich – ohne Probleme. Anders erging es Ende 2010 Lisa Howe, Trainerin an der christlichen Belmont University im konservativen Bundesstaat Tennessee im Süden der USA. Als sie bekannt gab, dass ihre Partnerin ein Kind erwartete, wurde Howe von der Unileitung vor die Tür gesetzt.
Die WM als Nagelprobe
Rebecca hat ihre Fußballschuhe nach 14 Jahren erst einmal im Karton verstaut um sich ganz auf ihr Studium in Wisconsin zu konzentrieren. Doch natürlich wird sie die Spiele der Fußball-WM am Fernseher verfolgen. Das Turnier wird zeigen, wie es um die noch junge Fußballkultur in den USA wirklich bestellt ist. Wird es die Nationalmannschaft schaffen, noch einmal eine ähnliche Begeisterung zu erwecken wie 1999? Derzeit ist davon noch nichts zu spüren, auch weil große Stars wie Mia Hamm fehlen – und weil die WM im weit entfernten Deutschland stattfindet. Doch wenn die US- Team erfolgreich ist, kann sich das mit jedem Sieg rasch ändern. Denn USA lieben nichts so sehr wie Sieger.
Petra Krimphove ist Journalistin.