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„Wir sind genauso gut“: US-Mädchen lieben Fußball

Der WM-Sieg der US-Frauen im Jahr 1999 löste unter Kindern einen wahren Fußballboom aus. Heute spielen in den USA Millionen Mädchen Fußball – doch in den Medien ist der Sport wieder in der Versenkung verschwunden.

Lange neuneinhalb Minuten tut das kleine Mädchen im Fußballtrikot nichts anderes, als einen Ball mit beiden Füßen in der Luft zu halten. Immer abwechselnd: rechts, links, rechts, links – fest die Augen auf den Ball gerichtet, der nicht einmal den Boden berührt. Über 6000 Mal, das ist Renae Blevins Rekord.  Ihr stolzer Vater – „soccer dad 1“– hat die Übungen seiner Tochter gefilmt und bei Youtube eingestellt. „Marta ist ihre Heldin”, schreibt er, „und niemand ist glücklicher als sie, dass es eine Frauen-Profiliga gibt.“

Die acht Jahre alte Renae auf dem Video ist nur eines von vielen Mädchen in den USA, die vor Fußballbegeisterung brennen. Football, Baseball, Basketball, Eishockey – in diesen uramerikanischen Sportarten dominieren die Männer, Vorbilder für den weiblichen Nachwuchs sind selten. Im Fußball ist das anders: Seit die US-Frauennationalmannschaft vor fast zwölf Jahren im eigenen Land das WM-Endspiel gegen China gewann, träumen Mädchen hier von einer Karriere als Profispielerin. Ihre Vorbilder: die Brasilianerin Marta Vieira da Silva, die US-Ikone Mia Hamm und auch die Deutsche Birgit Prinz.

Die Medieneuphorie ist verflogen
    
Es war ein äußerst knapper Sieg an jenem heißen 10. Juli 1999 im Rose Bowl Field im kalifornischen Pasadena. Aber er sorgte für eine bis dato in den USA ungekannte Fußballeuphorie. 90 185 Zuschauer – unter ihnen Präsident Bill Clinton - sprangen jubelnd von ihren Sitzen, als Brandi Chastain im Elfmeterschießen den entscheidenden Ball im Netz versenkte. Die USA-Frauen waren Fußball-Weltmeister. 40 Millionen Menschen feierten vor den Bildschirmen. Es war die größte Zuschauermenge, die bis heute in der amerikanischen Geschichte einem Frauen-Sportereignis zusah.

Doch kurz vor der Frauen-WM 2011 in Deutschland ist in den USA von der einstigen medialen Fußballbegeisterung nur noch wenig zu spüren. Frauenfußball hat sich als Mediensport nicht langfristig durchsetzen können, obwohl die Nationalmannschaft an ihre Erfolge anknüpfen konnte. In der weltweiten FIFA Rangliste steht das US-Frauenteam nach wie vor auf Platz eins, gefolgt von Deutschland. Die Amerikanerinnen gewannen zwei Weltmeisterschaften (1991 und 1999), drei olympische Goldmedaillen (1996, 2004 und 2008) und sieben Mal den renommierten Algarve Cup.

Dennoch: der professionelle Frauenfußball zieht kaum Zuschauer an. Wenn die Profiliga der Frauen (WPS) spielt, schauen im Durchschnitt 3500 Menschen in den Stadien zu. Der Fernsehkanal „Fox-Soccer“ überträgt ein Spiel in der Woche im nationalen Fernsehen, die Zuschauerzahlen sind mäßig – zu gering, um über Fernsehrechte und Sponsoren bemerkenswerte Einnahmen zu erzielen. Viele Vereine in der Liga machen Verluste. In der vergangenen Saison gaben drei Clubs auf, 2011 spielen nur noch sechs Mannschaften, die Zukunft der Frauenliga ist ungewiss.  


Selbstvertrauen für junge Mädchen

Wie anders war die Stimmung 1999. Plötzlich war Frauenfußball cool. Insbesondere Mia Hamm wurde zur nationalen Ikone: athletisch, technisch brillant, sympathisch und darüber hinaus auch noch attraktiv – so wurde sie zum idealen Aushängeschild des amerikanischen Frauenfußballs, zum Medienliebling und zum wichtigen Rollenvorbild für junge Mädchen.

„Wegen Mia Hamm glauben junge Mädchen daran, dass sie im Fußball erfolgreicher sein können als Männer, nicht weniger erfolgreich, eine Seltenheit im Mannschaftssport“, schrieb Jere Longman in der New York Times anlässlich Hamms Abschied vom Profisport im Jahre 2004. Für Hamm und ihre Mannschaft war ihr Sport dabei immer mehr als das Spiel auf dem Rasen: Sie wollten Vorbilder für die jungen Mädchen sein, die sie anhimmelten, ihnen Selbstvertrauen geben. „Für uns war es am wichtigsten, die nächste Generation von Mädchen stark und selbstbewusst aufwachsen zu sehen. Sie sollen glauben, dass sie alles im Leben erreichen können“, sagte Hamms Teamkollegin Julie Foudy Jahre.

Nicht nur ein Abklatsch der Männerwelt

Das Land nahm sein Frauenteam ernst und feierte es mit Begeisterung. Besonders für Mädchen war das eine neue, befreiende Erfahrung. Fußball wurde ihre Sportart. Und eben weil Fußball in den USA nicht wirklich ein Teil der nationalen Sportkultur ist, wie in Südamerika oder Europa, betraten die Mädchen ein quasi unbeackertes Feld. Auf der einen Seite machte es dies in der männlich dominierten Sportkultur der USA schwer, Aufmerksamkeit für ihren Sport zu erlangen – und der ist für einen kommerziellen Erfolg nötig. Auf der spielerischen Ebene eröffnete dies jedoch auch die Chance, Frauenfußball nicht nur als lahmen Abklatsch der Männerwelt zu reproduzieren.

Dass Fußball Männersache ist, scheint amerikanischen Mädchen eh völlig abwegig. „Als Mädchen kannst du genauso gut Fußball spielen wie die Jungs“, ist Rebecca Ebling überzeugt. „Es ist körperlich und macht Spaß.“ Die 19-Jährige hat 14 Jahre lang in Naperville/Illinois mit viel Leidenschaft und Erfolg in verschiedenen Teams gespielt, zuletzt in der Frauenliga ihres Heimatstaates und ihrem High School Team, mit dem sie die regionale Meisterschaft gewann.

Keine Sonderregeln für Mädchen

Was sie am Fußball fasziniert? „Es ist eine der wenigen Sportarten, in denen es keine Sonderregeln für Mädchen gibt“, sagt Rebecca. American Football wird als zu brutal für Mädchen erachtet und ist entsprechend tabu. Sie müssen Softball statt Baseball spielen – mit größeren Bällen auf kleineren Feldern. Und auch die Regeln beim Frauen-Eishockey verbieten ihnen einen ähnlich starken Körpereinsatz, wie er bei den Männern üblich ist. Doch Fußball ist Fußball– egal ob Mädchen oder Jungen spielen. Und kaum einer in den USA würde in Abrede stellen, dass Mädchen am Ball genau so gut sein können wie Jungen.

Der Boom des amerikanischen Mädchenfußballs ist auch der Politik zu verdanken: 1972 – im Jahr, als Mia Hamm geboren wurde - trat der sogenannte „Titel IX“ in Kraft, der unter anderem die Diskriminierung von Mädchen und jungen Frauen im Sportunterricht an Schulen und Colleges beenden sollte. Die waren traditionell eher am Aufbau von prestigeträchtigen Footballmannschaften interessiert. Mit dem „Titel IX“  waren alle Bildungseinrichtungen, die öffentliche Gelder erhielten, verpflichtet, Jungen und Mädchen gleiche Bedingungen zu bieten – im Unterricht, aber auch im Sport. Eine Maßnahme, die Wirkung zeigte.

Mittlerweile spielen allein an den High Schools über 337 000 Mädchen Fußball, über 10 500 Schulen haben Mädchenmannschaften. An den Colleges und Universitäten gibt es rund 700 Frauenteams. Daneben spielen geschätzte 1,5 Millionen Mädchen in Vereinen. Ihre Mütter – die soccer-moms – sind in den USA bereits zum Klischee geworden: Sie fahren den Nachwuchs in Minivans von Platz zu Platz und feuern ihn vom Spielfeldrand an.

Besonders in der amerikanischen Mittelschicht ist Fußball eine beliebte Sportart für den Nachwuchs und besitzt so gar nicht das proletarische Image, das ihm zuweilen in Europa anhaftet. Vielleicht sind in den USA im Fußball auch deshalb die Geschlechterstereotype weniger ausgeprägt als in traditionellen Fußballkulturen. In Europa und Südamerika erwuchs das Spiel aus der Arbeiterschicht und dem Straßenkick und ist eng mit klassischen Rollenklischees verknüpft. Mädchen hatten dort lange Zeit weder beim Spiel noch als Zuschauer etwas zu suchen. In den USA wurde das Spiel hingegen quasi von der Mittelschicht importiert. Und die unterstützte von Anfang an die Fußballbegeisterung der Mädchen.

In Deutschland kam der Schock

Benachteilungen als Mädchen auf dem Fußballplatz hat die elfjährige Kira Lee-Genzel aus Washington D.C. eigentlich nur in Deutschland erlebt. In jenen Sommern, die sie mit ihrer Familie im Heimatland ihrer Mutter verbrachte und dort Fußballcamps besuchte. Das erste Erlebnis war ein kleiner Schock: Kira, die seit ihre vierten Lebensjahr Fußball spielt und als großes Talent gilt, wurde vom deutschen Trainer zu den viel jüngeren Jungen gesteckt. Er traute ihr nicht zu, mit den gleichaltrigen Jungen mithalten zu können.  Doch es galt nicht nur den Trainer zu überzeugen: „In Deutschland ist es schwieriger, mit Jungs zusammen zu spielen“, sagt Kira. „Die akzeptieren nicht, dass Mädchen auch gut spielen können.“ Das änderte sich allerdings mit der Zeit: „Als ich dann Tore geschossen haben, haben sie gesehen, dass ich gut bin“, erinnert sie sich.

Auch Barbie spielt Fußball

Dass in der Nationalmannschaft von 1999 Frauen wie Mia Hamm spielten, denen von den Medien Model-Qualitäten bescheinigt wurden, sorgte noch für etwas anderes: Fußball galt in den USA nie als unweiblich, als Sport für „Mannsweiber“ oder lesbischen Frauen. Diese Stigmatisierung ist auch Rebecca Ebling völlig fremd: „Fußball gilt als athletischer, aber nicht als männlicher Sport.“ In ihren Mannschaften, so sagt, waren alle Typen von Mädchen vertreten, von der Schönheitskönigin bis zum burschikosen Typ.

Auch die erfolgreiche „Soccer Barbie“ im eng geschnittenen lila Trikot und langen goldenen Haaren vermittelt, dass Fußball und Weiblichkeit sich nicht ausschließen – ein nicht unwesentlicher Punkt in den mehr als Deutschland auf weibliche Geschlechterstereotypen fixierten USA.

Natürlich heißt das nicht, dass es im amerikanischen Frauenfußball keine lesbischen Frauen gibt: Die Schwedin Pia Sundhage, Trainerin der US-Nationalmannschaft, machte beispielsweise 2010 ihre Homosexualität öffentlich – ohne Probleme. Anders erging es Ende 2010 Lisa Howe, Trainerin an der christlichen Belmont University im konservativen Bundesstaat Tennessee im Süden der USA. Als sie bekannt gab, dass ihre Partnerin ein Kind erwartete, wurde Howe von der Unileitung vor die Tür gesetzt.  

Die WM als Nagelprobe

Rebecca hat ihre Fußballschuhe nach 14 Jahren erst einmal im Karton verstaut um sich ganz auf ihr Studium in Wisconsin zu konzentrieren. Doch natürlich wird sie die Spiele der Fußball-WM am Fernseher verfolgen. Das Turnier wird zeigen, wie es um die noch junge Fußballkultur in den USA wirklich bestellt ist. Wird es die Nationalmannschaft schaffen, noch einmal eine ähnliche Begeisterung zu erwecken wie 1999? Derzeit ist davon noch nichts zu spüren, auch weil große Stars wie Mia Hamm fehlen – und weil die WM im weit entfernten Deutschland stattfindet. Doch wenn die US- Team erfolgreich ist, kann sich das mit jedem Sieg rasch ändern. Denn USA lieben nichts so sehr wie Sieger.


Petra Krimphove ist Journalistin.